Sitzverlegung innerhalb der EU

Die Richtlinie 2017/1132 über Gesellschaftsrecht regelt verschiedene Aspekte der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU, einschließlich Fusionen, Spaltungen und Sitzverlegungen. Allerdings regelt sie nicht explizit die Sitzverlegung einer Gesellschaft in ein anderes EU-Land. Eine Sitzverlegung ist dennoch möglich, und sie wird durch die Rechtsprechung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) sowie durch ergänzende EU-Vorschriften unterstützt. Es gibt drei wesentliche Arten der Verlegung einer Kapitalgesellschaft in ein anderes EU-Land: grenzüberschreitende Verschmelzung, Verlegung des Verwaltungssitzes bei gleichzeitiger Änderung der Rechtsform und die Sitzverlegung nach Umwandlungsgesetz.
1. Grenzüberschreitende Verschmelzung
Die Richtlinie 2017/1132 regelt die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU. Dies ist eine mögliche Methode, um eine deutsche Gesellschaft in ein anderes EU-Land zu verlegen:
  • Vorgehen: Die deutsche Kapitalgesellschaft verschmilzt mit einer bestehenden oder neu gegründeten Gesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Dies führt dazu, dass die Vermögenswerte, Schulden und Verträge der deutschen Gesellschaft auf die Gesellschaft im neuen Land übertragen werden.
  • Vorteile: Die Gesellschaft kann ihren Geschäftsbetrieb und ihre Struktur im anderen EU-Staat beibehalten, und es gibt keine Liquidation der ursprünglichen Gesellschaft, was steuerliche und administrative Vorteile mit sich bringt.
  • Ablauf:
  1. Verschmelzungsplan: Die beteiligten Gesellschaften müssen einen gemeinsamen Verschmelzungsplan aufstellen.
  2. Prüfung und Veröffentlichung: Dieser Plan wird geprüft und muss veröffentlicht werden.
  3. Beschluss: Beide Gesellschaften (oder die neu gegründete Gesellschaft) müssen die Verschmelzung in einer Gesellschafterversammlung genehmigen.
  4. Eintragung und Löschung: Nach der Genehmigung wird die Verschmelzung ins Handelsregister eingetragen, und die deutsche Gesellschaft wird in Deutschland gelöscht.
2. Verlegung des Verwaltungssitzes und Rechtsformänderung
Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Verwaltungssitz der Gesellschaft in ein anderes EU-Land zu verlegen und gleichzeitig die Rechtsform anzupassen. Dies wird durch die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) gestützt, insbesondere durch die Entscheidungen im Fall “Centros” (C-212/97) und “Cartesio” (C-210/06).
  • Vorgehen: Die Gesellschaft verlegt ihren Verwaltungssitz in ein anderes Land, behält aber rechtlich ihre Identität als Kapitalgesellschaft dieses neuen Landes, indem sie sich nach dem dort geltenden Recht umwandelt (z.B. von einer GmbH in eine luxemburgische SARL).
  • Voraussetzungen:
  • Das aufnehmende Land muss eine Rechtsformänderung zulassen.
  • Die deutsche Gesellschaft muss sich in Übereinstimmung mit den Anforderungen der nationalen Gesetzgebung des Ziellandes umwandeln.
  • Prozess:
  1. Vorbereitung der Sitzverlegung: Zunächst muss die Gesellschaft beschließen, ihren Verwaltungssitz zu verlegen.
  2. Gründung im neuen Staat: Eine neue Gesellschaftsform (z.B. SARL) wird im neuen EU-Staat gegründet, oder die bestehende Gesellschaft wird umgewandelt.
  3. Löschung der ursprünglichen Gesellschaft: Sobald die Gesellschaft im neuen Staat registriert ist, wird die alte Gesellschaft in Deutschland gelöscht.
3. EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) spielt eine entscheidende Rolle bei der Möglichkeit der Sitzverlegung innerhalb der EU. Der EuGH hat in verschiedenen Urteilen klargestellt, dass Unternehmen ihre Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU wahrnehmen können. Dies bedeutet, dass Unternehmen ihren Verwaltungssitz in ein anderes EU-Land verlegen können, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Zu den wichtigen Fällen zählen:
  • “Überseering”-Urteil (C-208/00): Dieses Urteil bestätigte, dass eine Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, dort ihre Rechtspersönlichkeit behält, sofern die Rechtsordnung des neuen Mitgliedstaats dies zulässt.
  • “Cartesio”-Urteil (C-210/06): Hier entschied der EuGH, dass ein Mitgliedstaat es Unternehmen nicht verwehren darf, ihren Verwaltungssitz in ein anderes Land zu verlegen, selbst wenn dies eine Änderung der nationalen Rechtsform erfordert.
4. Nationale Umsetzung der EU-Regeln
Die EU-Mitgliedstaaten haben die Richtlinie 2017/1132 in ihr nationales Recht umgesetzt, sodass es Unterschiede im Verfahrensablauf und den rechtlichen Anforderungen geben kann. Beispielsweise müssen in einigen Ländern formale Verfahren wie die Prüfung durch Notare oder Gerichte durchlaufen werden, und die Anforderungen an die Veröffentlichung von Plänen und Berichten können variieren. In Deutschland sind die Maßnahmen in den §§ 333 ff. UmwG geregelt.
Dort wurde explizit auch eine Prüfungspflicht durch die Handelsregister verankert um den Rechtsmissbrauch zu verhindern.

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