GmbH Löschung

Liquidationslose Löschung einer GmbH

Die Polbud-Entscheidung (EuGH, C-106/16) vom 25. Oktober 2017 ist eine richtungsweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die die Möglichkeiten von Unternehmen zur grenzüberschreitenden Umwandlung innerhalb der EU erheblich erweitert hat. Diese Entscheidung wirkt sich auch auf die liquidationslose Löschung einer Kapitalgesellschaft im Wegzugsstaat aus. Hier sind die wesentlichen Auswirkungen im Detail:
1. Kernaussage der Polbud-Entscheidung:
Die Polbud-Entscheidung bestätigte das Recht einer Gesellschaft, ihren Satzungssitz (auch juristischen Sitz genannt) in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu verlegen, ohne dass eine tatsächliche Geschäftstätigkeit im neuen Mitgliedstaat erforderlich ist. Wichtig dabei ist:
  • Die Gesellschaft kann ihren Satzungssitz verlegen und sich in den neuen Mitgliedstaat umwandeln, ohne im Ursprungsstaat eine Liquidation durchführen zu müssen.
  • Der EuGH stellte klar, dass der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) es Unternehmen ermöglicht, ihre Rechtsform in einem anderen Mitgliedstaat zu ändern, ohne die ursprüngliche Gesellschaft liquidieren zu müssen.
2. Auswirkungen auf die liquidationslose Löschung im Wegzugsstaat:
Vor der Polbud-Entscheidung war es in vielen Mitgliedstaaten erforderlich, dass eine Kapitalgesellschaft, die ihren Satzungssitz verlegt, im Ursprungsstaat liquidiert wird, bevor sie im neuen Mitgliedstaat als neue Gesellschaft eingetragen werden konnte. Diese Praxis wurde durch das Polbud-Urteil infrage gestellt, da der EuGH entschied, dass eine solche Liquidation eine unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.
Folgende Auswirkungen ergeben sich konkret:
  • Keine Pflicht zur Liquidation im Ursprungsstaat: Nach dem Polbud-Urteil darf ein Mitgliedstaat (z.B. Deutschland) die Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat nicht von der Liquidation im Ursprungsstaat abhängig machen. Das bedeutet, dass eine Gesellschaft, die ihren Satzungssitz verlegt, nicht zwingend im Ursprungsstaat gelöscht werden muss, indem sie liquidiert wird.
  • Liquidationslose Löschung: Die Gesellschaft kann nach der Verlegung des Satzungssitzes ohne Liquidation aus dem Register des Ursprungsstaats gelöscht werden, wenn sie im neuen Mitgliedstaat in eine entsprechende Rechtsform (z.B. von einer deutschen GmbH in eine luxemburgische SARL) umgewandelt wird. Dabei bleibt die rechtliche Kontinuität der Gesellschaft gewahrt, und die Gesellschaft existiert nahtlos im neuen Staat weiter, ohne eine Abwicklung im Ursprungsstaat durchlaufen zu müssen.
  • Formwechsel statt Liquidation: Im Polbud-Fall verlegte die Gesellschaft ihren Satzungssitz von Polen nach Luxemburg, ohne eine tatsächliche Geschäftstätigkeit in Luxemburg aufzunehmen. Der EuGH entschied, dass dies zulässig ist und dass der Gesellschaftswechsel als Formwechsel (statt einer Liquidation) betrachtet werden muss. Es handelt sich also um eine Umwandlung, die den Fortbestand der Gesellschaft ermöglicht, ohne ihre Auflösung.
3. Relevanz für den Wegzugsstaat:
Für den Wegzugsstaat (z.B. Deutschland) bedeutet die Polbud-Entscheidung, dass nationale Vorschriften, die eine Liquidation verlangen, bevor eine Gesellschaft verlegt und gelöscht wird, im Widerspruch zur EU-Niederlassungsfreiheit stehen könnten. Nach der Polbud-Entscheidung müssen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer liquidationslosen Sitzverlegung und einer liquidationslosen Löschung zulassen.
  • Rechtliche Rahmenbedingungen: Der Wegzugsstaat muss sicherstellen, dass die Gesellschaft nach einer erfolgreichen Verlegung des Sitzes im neuen Mitgliedstaat ohne Liquidation gelöscht werden kann. Es darf keine unrechtmäßigen Hindernisse oder übermäßige administrative Anforderungen geben, die die Verlegung des Satzungssitzes erschweren.
  • Grenzüberschreitende Umwandlung: Dies erfordert in der Praxis, dass die nationalen Gesetze zur grenzüberschreitenden Umwandlung und zur Sitzverlegung reformiert oder angepasst werden, um die Vorgaben der Polbud-Entscheidung zu berücksichtigen. Wenn das neue Gesetz dies nicht vorsieht, besteht die Gefahr, dass solche Regelungen europarechtswidrig sind.
4. Praktische Konsequenzen:
  • Unternehmen können ihre Satzungssitze in einen anderen Mitgliedstaat verlegen und dabei die Rechtsform anpassen, ohne eine Liquidation im Ursprungsstaat durchlaufen zu müssen.
  • Die EuGH-Entscheidung schützt die Rechte der Unternehmen in der EU und gewährleistet, dass Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, wie z.B. die Pflicht zur Liquidation, nicht mehr durchgesetzt werden dürfen, sofern sie unverhältnismäßig sind.
Fazit:
Die Polbud-Entscheidung hat die Möglichkeiten für die liquidationslose Löschung einer Kapitalgesellschaft im Wegzugsstaat erheblich erweitert. Eine Kapitalgesellschaft kann ihren Satzungssitz innerhalb der EU verlegen und die ursprüngliche Gesellschaft im Ursprungsstaat löschen lassen, ohne eine Liquidation durchlaufen zu müssen. Diese Rechtsprechung stellt sicher, dass die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften innerhalb der EU gewahrt bleibt und Mitgliedstaaten keine unnötigen Hindernisse für grenzüberschreitende Umstrukturierungen errichten können.

Sevic-Urteil
Das Sevic-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 13. Dezember 2005 (Rechtssache C-411/03) bezieht sich auf die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union. Es hat eine wichtige Rolle für das EU-Recht gespielt, insbesondere im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und die Möglichkeiten von Unternehmen, grenzüberschreitend zu fusionieren.
Hintergrund des Sevic-Urteils:
Die deutsche Firma Sevic Systems AG wollte mit einer luxemburgischen Gesellschaft fusionieren, wobei die Sevic Systems AG die übernehmende Gesellschaft sein sollte. Das deutsche Registergericht verweigerte jedoch die Eintragung der Verschmelzung ins Handelsregister, da das deutsche Umwandlungsgesetz (UmwG) damals keine grenzüberschreitenden Verschmelzungen vorsah, sondern nur solche innerhalb Deutschlands.
Sevic Systems AG brachte den Fall vor den EuGH, der in seinem Urteil entschied, dass die Ablehnung der grenzüberschreitenden Verschmelzung gegen das Prinzip der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 und 54 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verstößt.
Kernpunkte des Sevic-Urteils:
1. Niederlassungsfreiheit:
• Der EuGH stellte fest, dass es Gesellschaften freistehen muss, in jedem Mitgliedstaat ihren Sitz zu haben und auch grenzüberschreitend zu fusionieren.
• Das Verbot der grenzüberschreitenden Verschmelzung widersprach der Niederlassungsfreiheit, die sicherstellt, dass Unternehmen innerhalb der EU ohne Hindernisse tätig sein können.
2. Diskriminierungsverbot:
• Das deutsche Recht diskriminierte grenzüberschreitende Fusionen im Vergleich zu inländischen Fusionen, da inländische Fusionen möglich waren, grenzüberschreitende jedoch nicht. Diese Diskriminierung war nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
Auswirkungen des Sevic-Urteils:
Durch das Sevic-Urteil wurde der Weg für grenzüberschreitende Verschmelzungen innerhalb der EU geebnet. In der Folge war Deutschland gezwungen, sein nationales Recht anzupassen, um solche Fusionen zu ermöglichen. Dies führte zu Änderungen des deutschen Umwandlungsgesetzes (UmwG) und zur Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften.
Möglichkeiten für eine deutsche GmbH:
Nach dem Sevic-Urteil und der Anpassung des deutschen Rechts können deutsche GmbHs unter bestimmten Voraussetzungen durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung gelöscht werden. Dabei ergeben sich folgende Optionen:
1. Grenzüberschreitende Verschmelzung durch Aufnahme:
• Eine deutsche GmbH kann mit einer Gesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat verschmelzen, wobei die ausländische Gesellschaft als übernehmende Gesellschaft agiert.
• Die GmbH wird in Deutschland gelöscht, während die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten auf die ausländische Gesellschaft übergehen.
2. Grenzüberschreitende Verschmelzung durch Neugründung:
• Eine deutsche GmbH kann durch Verschmelzung eine neue Gesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat gründen. In diesem Fall wird die GmbH gelöscht und durch die neu gegründete Gesellschaft ersetzt.
3. Rechtsfolge der Löschung:
• Mit der Verschmelzung geht das gesamte Vermögen, die Rechte und Pflichten der deutschen GmbH auf die übernehmende Gesellschaft über. Die GmbH wird im deutschen Handelsregister gelöscht.
Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Verschmelzung:
1. Verschmelzungsplan:
• Die beteiligten Gesellschaften müssen einen Verschmelzungsplan aufstellen, der bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllt.
2. Beschluss der Gesellschafter:
• Der Verschmelzungsplan muss von den Gesellschaftern der beteiligten Gesellschaften genehmigt werden.
3. Eintragung ins Handelsregister:
• Die Verschmelzung muss in den jeweiligen Handelsregistern der beteiligten Länder eingetragen werden.
4. Gläubigerschutz:
• Es gibt Regelungen zum Schutz der Gläubiger, die vorsehen, dass diese ihre Forderungen anmelden können.
Fazit:
Das Sevic-Urteil hat maßgeblich dazu beigetragen, dass deutsche GmbHs heute die Möglichkeit haben, durch grenzüberschreitende Verschmelzungen mit Gesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten zu fusionieren und in Deutschland gelöscht zu werden. Dies bietet Unternehmen eine flexible Möglichkeit, sich international zu reorganisieren und ihre Struktur an die Gegebenheiten des europäischen Binnenmarkts anzupassen.

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